Wolf Durmashkin

Die Familie Durmashkin aus Vilnius, Litauen, war eine prominente Musikerfamilie, deren Leben durch den Holocaust erschüttert wurde. Wolfs Vater, Akiva Durmashkin, war Kantor der Hauptsynagoge von Vilna und ein bedeutender Komponist liturgischer Musik. Seine jüngeren Schwestern waren Fania, eine Konzertpianistin, und Henny, die vor dem Krieg eine Ausbildung zur Opernsängerin absolvierte. Als die Nazis Vilnius besetzten, änderte sich das Leben der Familie dramatisch. Akiva Durmashkin wurde von der SS in Ponary erschossen, einem Dorf am Stadtrand von Vilnius, das zum Schauplatz von Massenexekutionen wurde.

Unter den vielen jüdischen Künstlern, Musikern und Schriftstellern im Vorkriegs-Wilnius ragte der Pianist und Dirigent Wolf Durmashkin heraus. 1914 geboren, gab er bereits im Alter von sieben Jahren öffentliche Klavierkonzerte.Im Alter von 23 Jahren schloss er sein Studium am Wilnaer Konservatorium ab und ging kurzzeitig nach Warschau, um seine musikalische Ausbildung fortzusetzen. Als 1939 der Krieg ausbrach, beschloss Durmaschkin, in seine Heimatstadt zurückzukehren, wo er zunächst als Dirigent und Musiklehrer Arbeit fand.

Nach dem Einmarsch der Nazis in Wilna 1941 wurden er, seine Mutter und seine Schwestern zusammen mit Zehntausenden von Juden, die nicht sofort von den Nazis oder ihren litauischen Hilfstruppen ermordet wurden, in die Enge des Ghettos gezwungen. Dort setzte Durmaschkin seine musikalische Arbeit fort, komponierte, organisierte ein Orchester und half bei der Gründung einer Musikschule mit über hundert Schülern. Er war auch Gründer und Leiter eines hebräischen Ghettochors. Seine Mutter Sonia, die älter war, wurde in die Gaskammer geschickt, obwohl Fania und Henny sich bemühten, sie jünger aussehen zu lassen.

Wolf, der für seine musikalische Brillanz bekannt war, erhielt eine Sondererlaubnis, das Ghetto zu verlassen, um das Publikum zu unterhalten, einschließlich seiner Nazi-Gefangenen. Dies geschah als Reaktion auf eine Petition des Wilnaer Orchesters, das darum bat, das Ghetto verlassen zu dürfen, um weiterhin als Dirigent zu arbeiten. Eines Tages rief der Ghettoleiter Jacob Gens Durmaschkin zu sich und bat ihn, ein Ghetto-Orchester zu gründen, um die Moral zu verbessern. Er nutzte die relative Freiheit und schmuggelte Stück für Stück ein Klavier ins Ghetto, so dass das jüdische Kulturleben unter widrigen Umständen weitergehen konnte.

Im April 1942 ordnete die Ghetto-Polizei die Registrierung von Musikinstrumenten für den Einsatz im Orchester an. Diejenigen, die anfangs gegen das Theater und das Orchester waren, akzeptierten nun dessen Existenz. Die Konzerte, Aufführungen und Vorträge wurden zu einem wichtigen gesellschaftlichen Ereignis in einem hungernden Ghetto. Eine Musikschule für hundert Schüler wurde eingerichtet. Der Dirigent Yakov Gerstein gründete seinen Schülerchor wieder, und Durmaschkin gründete ein Orchester, das 35 Konzerte gab.

Conductor Wolf Durmashkin with the Ghetto Symphonic Orchestra in the Vilna Ghetto

Wolf Durmashkin mit dem Ghetto-Sinfonieorchester, Ghetto Vilna, 5. September 1942 (Foto: Vilna Ghetto collection, National Library of Israel).

Hermann Kruk, der zunächst gegen das Theater war, schrieb am 8. März 1942 in sein Tagebuch,

Und doch ist das Leben stärker als alles. Das Leben pulsiert wieder im Wilnaer Ghetto. Im Schatten von Ponary findet Leben statt und es gibt Hoffnung auf ein besseres Morgen. Die Konzerte, die anfangs boykottiert wurden, werden vom Publikum angenommen. Die Säle sind voll. Die literarischen Abende sind voll und der große Saal kann nicht alle fassen, die kommen.

Die musikalische Welt, die in Wilna durch das Engagement junger Musiker wie Durmaschkin geschaffen wurde, sollte ein jähes und blutiges Ende finden.

Im Januar 1943, ein Jahr nach dem ersten Theaterkonzert zum Gedenken an die Massenmorde in Ponar, wurde die Ghettosopranistin Lyube Levitski probte gerade ihre Rolle für eine bevorstehende Oper unter der Leitung von Durmashkin.  Levitski wurde dabei erwischt, wie sie Lebensmittel für ihre kranke Mutter ins Ghetto schmuggelte, und wurde verhaftet und getötet. Kurz darauf, während der Liquidierung des Ghettos, wurde Durmaschkin in das Konzentrationslager Klooga in Estland deportiert. Tragischerweise wurde er am Tag vor der Befreiung des Lagers getötet.

Fania und Henny überlebten und wurden nach einem Todesmarsch aus Dachau im Frühjahr 1945 von amerikanischen Soldaten befreit. Sie wurden Teil des Displaced Persons Orchestra in St. Otillien, einem bayerischen Ort, in dem von 1945 bis 1948 Flüchtlinge interniert waren. Zunächst als "Orchester der Überlebenden" und später als "Ex-Concentration Camp Orchestra" bekannt, wurde das Orchester in Europa und im Ausland für seine mitreißenden Arrangements populärer jiddischer und hebräischer Musik bekannt. Zu seinen Fans gehörten David Ben-Gurion und Golda Meier. Henny, die acht Sprachen fließend beherrschte, wurde durch ihre Gesangsdarbietungen bekannt.

In einer ergreifenden Wende bat der Dirigent Leonard Bernstein um eine Sondergenehmigung, das Orchester zu dirigieren. Er gab mit ihnen drei Konzerte: eines in München und zwei in den Flüchtlingslagern Landsberg und Feldafing, die Außenlager von Dachau waren. Bernstein begleitete Henny am Klavier und bestand darauf, dass sie auf Hebräisch und nicht auf Jiddisch sang.

Der Auftritt des Orchesters im Nürnberger Opernhaus erregte die Aufmerksamkeit der internationalen Medien, die in der Stadt waren, um über die Kriegsverbrecherprozesse zu berichten. Um die Brutalität der Nazis zu verdeutlichen, trugen die Orchestermitglieder, deren körperliche Narben noch sichtbar waren, auf der Bühne die zerfetzten Überreste ihrer KZ-Uniformen.

Henny emigrierte 1949 in die Vereinigten Staaten und lernte auf der Reise ihren späteren Ehemann Simon Gurko kennen. Obwohl sie nach ihrer Ausreise aus Europa nur selten öffentlich auftrat, nahmen sie und Fania ein Album mit dem Titel Songs to Remember auf, eine Sammlung von Holocaust-, hebräischer und jiddischer Musik, die weiterhin von jiddischen Radiosendern in Israel und anderswo gespielt wurde.

Henny schloss später ihre unterbrochene Ausbildung ab und erwarb Abschlüsse am Jewish Theological Seminary und an der Columbia University. Danach arbeitete sie als Lehrerin für hebräische Schulen.

Wolf Durmashkins musikalischer Lebensweg war zwar glanzvoll und tragisch kurz, hinterließ aber bei allen, die ihn kannten und seine Werke hörten, unauslöschliche Spuren. Zwei eindrucksvolle Bilder fangen die Essenz seines Engagements für die Musik selbst in den dunkelsten Zeiten ein: Eines zeigt ihn stolz vor dem Orchester des Wilnaer Ghettos stehend, die Arme verschränkt, als ob er den Mauern, die sie gefangen hielten, trotzen würde; das andere zeigt ihn mit dem Wilnaer Chor posierend, eine visuelle Erinnerung an das kulturelle Leben, für dessen Erhalt er kämpfte.

Vom Wunderkind zum Dirigenten der Wilnaer Philharmonie - Wolfs Talent war unbestreitbar. Als die Nazis Vilnius besetzten, verschafften ihm seine musikalischen Fähigkeiten ein prekäres Privileg - die Freiheit, sich im Ghetto zu bewegen und es zu verlassen. Wolf nutzte diese Gelegenheit nicht nur, um aufzutreten, sondern auch, um Widerstand zu leisten. Indem er ein Klavier ins Ghetto schmuggelte, sorgte er dafür, dass das jüdische Kulturleben weitergehen konnte und bot Momente des Trostes und der Schönheit inmitten unvorstellbarer Not.

Wolfs Geschichte ist eine Geschichte von Mut und Kreativität im Angesicht der Unterdrückung. Seine Bemühungen, die musikalischen Aufführungen im Ghetto aufrechtzuerhalten, sein Engagement bei den Partisanen und sein unerschütterlicher Einsatz für seine Kunst bis zum Schluss sprechen für seinen Charakter und seine Leidenschaft. Die Tatsache, dass er nur wenige Stunden vor der Befreiung getötet wurde, verleiht seiner Geschichte eine ergreifende Note.

Obwohl Wolfs Leben kurz war, sind die Bilder, die ihn beim Dirigieren und Leiten von Chören zeigen, eine starke visuelle Erinnerung an seine Hingabe. Sie halten Momente fest, in denen die Musik die harte Realität des Ghettos überwand und einen Einblick in die Menschlichkeit unter unmenschlichen Umständen bot. Zusammen mit den Erinnerungen derer, die ihn kannten, und der Musik, die er schuf, sorgen diese Fotos dafür, dass Wolf Durmaschkins Beitrag zur Musik und Kultur in einer der dunkelsten Perioden der Geschichte nicht in Vergessenheit gerät.

Quellen

Kalisch, S. & Meister, B., 1985. Ja, wir sangen! Songs of the Ghettos and Concentration Camps, New York: Harper and Row.  

USHMM Photo Archive (biographische Informationen)

Hermann Kruk, Ein Tagebuch im Wilnaer Ghetto, S.195