Bronisław Huberman (1882-1947)
Der polnische Geiger Bronisław Huberman, der den Spitznamen "Oskar Schindler der Musiker" trägt, hat durch die Gründung des Palästina-Sinfonieorchesters (heute Israel Philharmonic) während des Holocausts schätzungsweise eintausend Menschenleben gerettet.
Geboren in einer jüdischen Familie in Częstochowa, Polen, zeigte Huberman schon in jungen Jahren musikalisches Talent und begann im Alter von vier Jahren mit dem Geigenunterricht bei seinem Vater. Ab seinem siebten Lebensjahr besuchte er das Warschauer Konservatorium und nahm kurz darauf Unterricht bei Joseph Joachim in Berlin. Als er zwölf Jahre alt war, tourte er als Wunderkind durch Europa und die Vereinigten Staaten. Franz Joseph, Kaiser von Österreich und König von Ungarn, schenkte dem jungen Huberman die Stradivarius Gibson"-Geige, nachdem er sein Konzert in Paris 1895 besucht hatte. Im folgenden Jahr spielte Huberman das Violinkonzert von Brahms vor einem Publikum, zu dem Gustav Mahler, Anton Bruckner, Johann Strauss und Brahms selbst gehörten, und beeindruckte den Komponisten, der dem jungen Wunderkind nach dem Konzert gratulierte.
Huberman litt zeitlebens unter Depressionen und Schlaflosigkeit, möglicherweise eine Folge des unermüdlichen Auftrittsplans, den er als Kind absolvierte. Er war seit 1909 mit der Schauspielerin Elsa Galafrés verheiratet. Sie bekamen einen Sohn, Johannes, bevor sie ihn für den Komponisten Ernő Dohnányi verließ; seine Lebensgefährtin, die deutsche Krankenschwester Ida Ibbeken, lernte Huberman 1916 in einer Wiener Kurklinik kennen. 1920 nahm er sich eine Auszeit von seinen Auftritten, um an der Pariser Sorbonne Sozial- und Politikwissenschaften zu studieren. Dort schloss er sich der Pan-Europa (heute Internationale Paneuropa-Union) an, einer politischen Gruppe, die sich für die politische, wirtschaftliche und militärische Vereinigung der europäischen Länder einsetzte. Über diese Organisation lernte er Sigmund Freud und Albert Einstein kennen.
Huberman trat in den Jahren 1929 und 1931 in Palästina auf. Nachdem er zuvor eine antizionistische Haltung eingenommen hatte, begann er, die Idee zu formulieren, das nationale palästinensische Orchester zu verbessern, obwohl er argumentierte, dass jüdische Musiker ihre Rollen in prominenten europäischen Orchestern nicht aufgeben würden, um nach Palästina zu ziehen, da es keinen angesehenen kulturellen Ruf genoss. Nach 1933 begannen jedoch jüdische Musiker ihre Plätze in bedeutenden deutschen Orchestern zu verlieren (trotz der Bemühungen des Dirigenten Wilhelm Furtwängler, ihre Sicherheit zu gewährleisten), und Hubermans Idee begann eine realistische Möglichkeit zu sein.
Huberman zog 1934 nach Wien, um Direktor der Akademie für Musik und Darstellende Kunst zu werden, und obwohl er weiterhin durch Europa und darüber hinaus tourte, weigerte er sich, in Deutschland aufzutreten, und lehnte eine prestigeträchtige Einladung Furtwänglers ab, als Solist in der Eröffnungssaison 1934 der Berliner Philharmoniker aufzutreten. Als die Situation für jüdische Musiker in Deutschland nach den Nürnberger Gesetzen 1935 immer prekärer wurde, setzte Huberman seine Pläne für ein palästinensisches Orchester in die Tat um und bat wohlhabende Juden in Amerika und Großbritannien um finanzielle Unterstützung. Der Führer der jüdischen Gemeinde (und spätere erste Ministerpräsident Israels) David Ben-Gurion erklärte sich bereit, siebzig jüdischen Musikern und ihren Familien, die Huberman im Laufe des Jahres 1935 durch eine Reihe von Vorspielen in Deutschland, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Österreich auswählte, dauerhafte Aufenthaltsgenehmigungen zu erteilen.
Die Aufgabe war nicht einfach, und Huberman hatte anfangs Mühe, die Musiker davon zu überzeugen, dass es ihnen in Palästina besser gehen würde; einige zogen es vor, zu bleiben und für den Kulturbund zu arbeiten. Er hatte auch Schwierigkeiten, ausreichende Mittel aufzubringen, um die Reisekosten der Musiker, ihre Gagen und die Renovierung eines Messegeländes in Tel Aviv zu finanzieren, das als Probenraum und Konzertort dienen sollte. Auf einer Benefizkonzerttournee durch die USA Anfang 1936 wurde Hubermans Stradivari aus seiner Garderobe gestohlen, während er auf der Bühne der Carnegie Hall auf einem anderen Instrument spielte. Die Geige war schon einmal in Wien gestohlen worden - einige Stunden lang, bevor sie gefunden wurde -, aber dieses Mal hatte Huberman nicht so viel Glück; er wurde nie wieder mit seiner geliebten Geige zusammengeführt. Weitere Komplikationen traten auf, als die politischen Unruhen in Palästina Ben-Gurion dazu zwangen, das Angebot einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung für die Mitglieder des Orchesters und ihre Familien zurückzuziehen.
Nichtsdestotrotz setzte Huberman seine Amerikatournee fort und sicherte sich die verbleibenden Mittel zur Finanzierung des Orchesters durch ein von Albert Einstein in New York veranstaltetes Benefizdinner. Huberman engagierte auch den berühmten italienischen Dirigenten und erklärten Antifaschisten Arturo Toscanini, um die erste Konzertsaison in Palästina zu dirigieren. Toscanini entschied sich dafür, Werke des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn aufzuführen, dessen Musik in Deutschland verboten war. Huberman wandte sich an Chaim Weizmann, den Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation, der sich bereit erklärte, den Musikern die notwendigen Visa für die Auswanderung nach Palästina zu besorgen.
Das erste Konzert des neuen Palästina-Sinfonieorchesters fand am 26. Dezember 1936 statt und umfasste Aufführungen von Carl Maria von Webers Oberon-Ouvertüre, Rossinis Ouvertüre zu La Scala di Seta, Brahms' zweiter Sinfonie, Schuberts unvollendeter Sinfonie und dem Nocturne und Scherzo aus Mendelssohns Mitternachtstraum. Das Konzert wurde live im Radio in die ganze Welt übertragen. Im Dezember/Januar 1936/37 trat das Orchester mit Toscanini in Tel Aviv, Jerusalem und Haifa auf und spielte während des Krieges für die Alliierten. Als Israel 1948 ein unabhängiger Staat wurde, änderte es seinen Namen in Israel Philharmonic Orchestra und wurde seitdem von Leonard Bernstein, Daniel Barenboim und Zubin Mehta geleitet.
Huberman wurde 1941 US-Bürger und zog nach dem Krieg in die Schweiz. Er verstarb am 16. Juni 1947. Schätzungen zufolge rettete er das Leben von 1000 jüdischen Musikern und ihren Familien aus Deutschland, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Österreich, Frankreich, Georgien, Italien, Lettland, den Niederlanden, Russland, der Schweiz, Kroatien und der Ukraine, darunter der Geiger David Grunschlag und der Flötist Uri Toeplitz.
Die Gibson Stradivari wurde 1986 entdeckt, nachdem Julian Altman auf dem Sterbebett ein Geständnis abgelegt hatte. Heute wird sie von Joshua Bell gespielt, der bereits mehrfach mit dem Israel Philharmonic Orchestra aufgetreten ist.
von Abaigh McKee
LETTERS TO THE EDITOR
HUBERMAN AND THE PERSECUTION IN GERMANY
The Famous Violinist’s Stern Indictment of the Intellectuals
To the editor of the Manchester Guardian
Sir,- I shall be glad if you will print the following “open letter" which I have addressed to the German intellectuals: - Since the publication of the ordinances regulating the application of the Nuremberg legislation - this document of barbarism - I have been waiting to hear from you one word of consternation or to observe one act of liberation. Some few of you at least certainly must have some comment to make upon what has happened if your avowals of the past are to endure. But I have been waiting in vain. In the face of this silence I must no longer stand mute. It is two and a half years since my _ exchange of correspondence with Dr. Wilhelm Furtwangler, one of the most representative leaders of spiritual Germany. It will be recalled that Dr. Furtwangler endeavoured to prevent me from publishing my refusal of his invitation to play with his orchestra in Germany. His astonishing argument was that such a publication would close Germany for me for many years, and perhaps for ever. My answer on August 31, 1933, stated among other things:
..In spite of this I would perhaps have hesitated with this publication if the chasm between Germany and the cultural world had not been rendered even more impassable by recent events. Nothing discloses more dreadfully the brutalisation of large sections of the German population than the threats which have been published for weeks in the news- papers than German girls will be placed in the pillory if found in the company of Jews at coffee- houses or excursions, or if they carry on love affairs with them. This kind of baiting could not fail to result in such bestialities of the darkest Middle Ages as described in the "Times".
The description referred to was in the London "Times" of August 23, 1933, and told the story of a gentle Aryan girl who in punishment of her alleged commerce with a Jew was dragged in a pillory through the principal streets of Nuremberg amid the howls of the mob. As a consequence she suffered a stroke of insanity and was put in the asylum of Erlangen.
Dr. Furtwangler was profoundly revolted not only at the Nuremberg incidents, which he assured me he and all “real Germans" condemned as indignantly as I, but also against me because of my reference to the brutalisation of large sections of the German population. He felt himself compelled to regard this as a "monstrous generalisation which had nothing to do with reality”.
In the meantime two and a half years have passed. Countless people have been thrown into gaols and concentration camps, exiled, killed, and driven to suicide. Catholic and Protestant ministers, Jews, Democrats, Socialists, Communists, army generals became the victims of a like fate. I am not familiar with Dr. Furtwangler's attitude to these happenings, but he expressed clearly enough his own opinion and the opinion of all "real Germans" concerning the shamefulness of the socalled race- ravishing pillories; and I have not the slightest doubt of the genuineness of his consternation , and believe firmly, that many, perhaps the majority of Germans, share this feelings.
Well then, what have you, the "real Germans”, done to rid your conscience and Germany and humanity of this ignominy since these make-believe Germans, born in the Argentine, in Bohemia, in Egypt, and in Latvia, have changed my alleged “monstrous generalisation” to legal reality? Where are the German Zolas, Clemenceaus, Painleves, Picquarts in this monster Dreyfus case against an entire defenceless minority; where are the Masaryks in this superdimensional Polna case? Where has the voice of blood, if not the voice of justice and common sense, been raised against the even more inhuman persecution of those born of mixed marriages between Aryans and Jews, and of pure Aryans who have the misfortune to be the spouses of Jews?
Before the whole world I accuse you, German intellectuals, you non-Nazis, as those truly guilty of all these Nazi crimes, all this lamentable breakdown of a great people a destruction which shames the world with race. It is not the first time in history that the gutter has reached out for power, but it remained for the German intellectuals to assist the gutter of achieve success. It is a horrifying drama which an astonished world is invited to witness: German spiritual leaders with world citizenship who until but yesterday represented German conscience and German genius, men called to lead their nation by their precept and example, seemed incapable from the beginning of any other reaction to this assault upon the most sacred possessions of mankind than to coquet, co-operate, and condone. And when, to cap it all, demagogical usurpation and ignorance rob them of their innermost conceptions from their own spiritual workshop, in order thereby to disguise the embodiment of terror, cowardice, immorality, falsification of history in a mantle of freedom, heroism, ethics, science and mysticism, the German intellectuals reach the pinnacle of their treachery: they bow down and remain silent.
Must, then, the Catholic Church and the Protestant Church in Germany battle alone in their truly heroic struggle for Germany's honour, tradition, and future?
Germany, you people of poets and thinkers, the whole world, not only the world of your enemies, but the world of your friends, waits in amazed anxiety for your word of liberation.
Bronislaw Huberman New York, February 25, 1936

Huberman und Toscanini feiern während einer Generalprobe des Palestine Orchestra, Tel Aviv, 20. Dezember 1936.
Quellen
Aronson, J. und George, D. (2016) Orchestra of Exiles (New York: Berkley Books)
Aronson, J. (2012) (Dir.) Orchestra of Exiles (Aronson Film Associates, United Channel Movies)
Bronislaw Huberman Website (2017) verfügbar unter www.bronislawhuberman.com; Zugriff am 22.5.2017.
Groth, L. (2013) (Hrsg.) It Runs in the Family (Ya Ya Ya...Vater Productions in Zusammenarbeit mit Thrice Cooked Chicken Films und Svee-Tart Productions)