Hymnen für Frankreich
Praktisch jedes politische Regime hat eine Hymne als Symbol für seine Werte und Bestrebungen besessen. Dementsprechend haben Regimewechsel häufig einen Wechsel des Liedes erforderlich gemacht, wie 1830, als "La Parisienne" (Das Lied von Paris) das Gesicht der Julimonarchie in Frankreich wurde. Die Errichtung des Vichy-Regimes im Jahr 1940 folgte diesem historischen Muster: Während es in dem von den Nazis besetzten nördlichen Teil Frankreichs keine offizielle Hymne gab, wurden im unbesetzten, kollaborierenden Süden zwei angenommen.
Die erste dieser Hymnen war "La Marseillaise" (Das Lied von Marseille). Ursprünglich trug sie den Titel "Chant de Guerre pour l'Armée" (Kriegslied für die Armee) und wurde 1792 von Rouget de Lisle, einem Offizier der französischen Armee während der Revolution, komponiert und 1795 als erste offizielle Nationalhymne Frankreichs angenommen. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde sie in Nordfrankreich verboten, in Südfrankreich unter Vichy jedoch in überarbeiteter Form beibehalten. Staatschef Philippe Pétain wählte bestimmte Strophen aus, weil sie für seine neue politische Mission travail, famille, patrie (Arbeit, Familie, Land) von Bedeutung waren, darunter die Strophen, die mit "Amour sacre de la patrie" (Heilige Liebe zum Vaterland) und "Allons enfants de la patrie" (Lasst uns gehen, Kinder des Vaterlandes) beginnen. Die Hymne wurde immer dann gespielt, wenn Pétain eine Rede hielt oder in eine Stadt einmarschierte. Trotz dieser Versuche, mit dem Lied die Bevölkerung zur Unterstützung des Vichy-Regimes zu vereinen, befürchtete man, dass die Hymne ihre ursprüngliche Kraft als Symbol für Frankreich verloren hatte. Daher forderte der stellvertretende Vorsitzende von Vichy, Francois Darlan, 1941 ein Gesetz, das die Bevölkerung verpflichtete, Symbolen wie der Hymne und der Flagge den gebührenden Respekt zu erweisen. Gleichzeitig wurde das Singen zur Förderung des Gemeinschaftssinns wieder stärker in den Vordergrund gerückt, und auf den Plakaten der Chantiers de jeunesse (Jugendlager) war der Slogan Chanter, c'est s'unir (Singen ist wie Zusammensein) zu lesen. Darlan bestand auch darauf, dass "La Marseillaise" nicht ohne Genehmigung gesungen werden durfte, wenn kein Regierungsmitglied bei einer Zeremonie anwesend war. Die Strafen reichten bis zu Gefängnisstrafen. Diese Vorschrift verschaffte dem Regime das Monopol über die Verwendung des Liedes und trug dazu bei, die Bemühungen der Résistance abzuwehren, sich die alte Hymne als Symbol des verlorenen französischen Erbes anzueignen. Trotzdem wurden in den Pariser Nachtclubs immer wieder Fragmente der Marseillaise in den Mix eingebaut und den Deutschen trotzig vorgespielt.
Die zweite Vichy-Hymne war "Marechal, nous voilà!" (Marschall, hier sind wir!), die 1941 komponiert wurde und unter anderem durch ihre Interpreten an Popularität gewann. Zu den Interpreten gehörten die bekannten französischen Sänger Andrex und André Dassary (der während der ersten Hälfte des Krieges in deutscher Gefangenschaft war, bevor er freigelassen wurde) sowie das Orchester von Ray Ventura, einer französischen Jazzlegende. Um seine Akzeptanz in der Bevölkerung zu sichern, wurde es den Kindern in den Schulen beigebracht und bei großen Sportveranstaltungen und öffentlichen Auftritten gesungen. Obwohl sie nie in offiziellen Programmen oder bei offiziellen Anlässen verwendet wurde, wird sie oft als offizielle Hymne von Vichy bezeichnet, um die Rolle der Marseillaise herunterzuspielen. Die Assoziation der Marseillaise mit einer so abscheulichen Periode der französischen Geschichte könnte ihren Status als Wahrzeichen Frankreichs gefährden.
Auch wenn "Marechal, nous voilà!" angeblich von zwei Franzosen, André Montagard und Charles Courtiouz, komponiert wurde, handelt es sich in Wirklichkeit um ein Plagiat des Liedes "La Margoton du bataillon" von Casimir Oberfeld, einem 1945 in Auschwitz ermordeten Polen. Mit anderen Worten: Das Regime, für das Oberfelds Lied verwendet wurde, kollaborierte mit dem Regime, das seinen Tod verursachte. Es ist vielleicht eine Art historische Rache, dass "Marechal, nous voilà!" von den Widerstandsbewegungen übernommen und parodiert wurde. So änderte Julien Clément, Musikchef der Forces Françaises de l'Intérieur (Französische Widerstandskräfte), die in der Spätphase des Krieges gegründet wurden, den Text in "General, nous voilà!" (General, wir sind da!) und bezog sich damit auf Charles de Gaulle, den Chef der Freien Französischen Streitkräfte. Zu Cléments weiteren Aktivitäten im Widerstand gehört die Veröffentlichung einer Ode an Pétain mit dem Akrostichon "merde pour Hitler" (Tod für Hitler). Radio Vichy sendet das Lied in einer seiner Sendungen, ohne von seiner geheimen Botschaft zu wissen.
Von Daisy Fancourt
Une Flamme Sacrée
monte Du Sol Natal
et La France Enivrée
te Salue Maréchal !
tous Tes Enfants Qui T'aiment
et Vénèrent Tes Ans
a Ton Appel Suprême
ont Répondu "présent"
{Refrain:}
maréchal Nous Voilà !
devant Toi, Le Sauveur De La France
nous Jurons, Nous, Tes Gars
de Servir Et De Suivre Tes Pas
maréchal Nous Voilà !
tu Nous As Redonné L'espérance
la Patrie Renaîtra !
maréchal, Maréchal, Nous Voilà !
tu As Lutté Sans Cesse
pour Le Salut Commun
on Parle Avec Tendresse
du Héros De Verdun
en Nous Donnant Ta Vie
ton Génie Et Ta Foi
tu Sauves La Patrie
une Seconde Fois :
{Au Refrain}
quand Ta Voix Nous Répète
afin De Nous Unir :
"français Levons La Tête,
regardons L'avenir !"
nous, Brandissant La Toile
du Drapeau Immortel,
dans L'or De Tes Étoiles,
nous Voyons Luire Un Ciel :
{Au Refrain}
la Guerre Est Inhumaine
quel Triste Épouvantail !
n'écoutons Plus La Haine
exaltons Le Travail
et Gardons Confiance
dans Un Nouveau Destin
car Pétain, C'est La France,
la France, C'est Pétain !
{Au Refrain}
Eine heilige Flamme
Erhebt sich aus unserer heimatlichen Erde
Und das entrückte Frankreich
grüßt dich, Marschall
Alle Ihre Kinder, die Sie lieben
und deine Jahre verehren
Sind deinem höchsten Ruf gefolgt
indem sie sagten: "Wir sind hier.
Marshal, hier sind wir!
Vor Euch,
Der Retter Frankreichs.
Wir schwören dies,
Wir, deine Jungs,
Euch zu dienen und in Eure Fußstapfen zu treten.
Die Nation wird wiedergeboren werden
Marschall, Marschall, hier sind wir!
Sie haben uns die Hoffnung zurückgegeben
Dass das Land wiedergeboren wird
Marschall, hier sind wir!
Wenn Ihre Stimme zu uns zurückkehrt
Um uns zu vereinen
'Volk von Frankreich, erhebt eure Köpfe
und lasst uns in die Zukunft blicken!'
Wir, die Falten schwingend
der unsterblichen Fahne
Im Gold eurer Sterne
Wir sehen den Himmel leuchten
Der Krieg ist unmenschlich
Was für ein trauriges Gespenst
Lasst uns keinen Hass mehr hören
Lasst uns in Arbeit schwelgen
und bleiben zuversichtlich
Auf ein neues Schicksal
Denn Pétain ist Frankreich
Frankreich ist Pétain!
Quellen
Alviset, Josette 'La programmation musicale à Vichy: les apparences de la continuité' La Vie Musicale Sous Vichy, ed. Chimenes, (Brussels, 2001)
Dompnier, Nathalie 'Zwischen La Marseillaise und Maréchal, nous voilà! Welche Hymne für das Vichy-Regime?' La Vie Musicale Sous Vichy, ed. Chimenes, (Brussels, 2001)
Jaconom, Jean-Marie 'Marseille auf Bewährung? Les ambiguïtés de la vie musicale' La Vie Musicale Sous Vichy, ed. Chimenes, (Brussels, 2001)
Krivopissko, Guy and Virieux, Daniel 'Musiker: ein Beruf im Widerstand?' La Vie Musicale Sous Vichy, ed. Chimenes, (Brussels, 2001)
Sprout, Leslie 'Les commandes de Vichy, aube d'une èra nouvelle' La Vie Musicale Sous Vichy, ed. Chimenes, (Brussels, 2001)