Leo Blech: Das Überleben eines Dirigenten in Nazi-Deutschland
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Leo Blechs Position als Generalmusikdirektor an der Berliner Staatsoper stellte während der NS-Zeit einen ungewöhnlichen Fall dar. Obwohl er Jude war, behielt Blech seine Rolle an der Oper von 1933 bis 1937, geschützt von Hermann Göring durch eine Sondergenehmigung, die dem Berliner Generaldirektor Heinz Tietjen erteilt wurde. Diese Regelung spiegelte sowohl Blechs hohes Ansehen in deutschen Musikerkreisen als auch das komplexe politische Kalkül der NS-Führung wider.
Der Blech gewährte Schutz war außergewöhnlich in einer Zeit, in der jüdische Musiker systematisch aus den deutschen Kultureinrichtungen entfernt wurden. Görings Intervention ermöglichte es Blech, vier Jahre lang nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten weiterhin an einem der renommiertesten Musikzentren Deutschlands zu dirigieren. Dieses ungewöhnliche Arrangement verdeutlicht die gelegentliche Bereitschaft des Regimes, im Umgang mit international renommierten Kulturschaffenden pragmatische Ausnahmen von seiner Rassenpolitik zu machen.
Der Schutz erwies sich letztlich als vorübergehend. Im Frühjahr 1937 wurde Blech zunächst "beurlaubt" und dann entlassen, offiziell "aus Altersgründen" Er zog nach Riga, Lettland, um, wo er am Lettischen Nationalen Opern- und Balletttheater dirigierte. Dieser Umzug bot eine vorübergehende Zuflucht, da Lettland bis zur sowjetischen Besetzung 1940 und dem anschließenden Einmarsch der Nazis 1941 unabhängig blieb.
Exil in Riga und Görings zweites Eingreifen
In Riga setzte Blech seine musikalische Laufbahn an der lettischen Nationaloper fort und hielt trotz der zunehmend prekären politischen Lage sein künstlerisches Niveau. Als die deutschen Truppen 1941 Lettland besetzten, wurde die Lage für Blech äußerst gefährlich. Die Besetzung Rigas durch die Nazis war besonders brutal, und der jüdischen Bevölkerung drohte die unmittelbare Verfolgung und schließlich der Völkermord.
Allerdings erwiesen sich Blech's internationales Ansehen und seine Verbindungen zum deutschen Kulturleben erneut als überlebenswichtig. Im September 1941, als sich die Lage für die Juden in Riga zuspitzte, unternahm Hermann Göring den außergewöhnlichen Schritt, direkt in Blechs Fall einzugreifen. Er erteilte Major Karl Heise, dem Chef der Schutzpolizei im deutsch besetzten Riga, den Befehl, Blech ein Ausreisevisum ins neutrale Schweden zu verschaffen.
Dieses Eingreifen war aus mehreren Gründen bemerkenswert. Erstens fiel sie in eine Zeit, in der das Nazi-Regime die systematische Ermordung der Juden in den baltischen Staaten betrieb. Zweitens war Blech der einzige Jude in Riga, der durch eine hochrangige Intervention der Nazis entkommen konnte. Die Entscheidung, Blech zu retten, während Tausende anderer Juden in Riga von Deportation und Tod bedroht waren, unterstreicht sowohl den außergewöhnlichen Charakter seines Falles als auch die komplexe, manchmal widersprüchliche Natur der NS-Politik gegenüber prominenten jüdischen Kulturschaffenden.
Görings Motivation, Blech zu schützen, scheint einer Kombination von Faktoren entsprungen zu sein: der Anerkennung von Blechs internationalem Ansehen, dem Bewusstsein seiner Bedeutung für das deutsche Kulturleben und möglicherweise dem pragmatischen Wunsch, gewisse Verbindungen zum kulturellen Establishment vor dem Nationalsozialismus aufrechtzuerhalten. Diese Intervention ermöglichte es Blech, Schweden zu erreichen, wo er bereits seit 1925 durch regelmäßige Dirigate an der Königlichen Oper in Stockholm Verbindungen aufgebaut hatte.
Leben im Exil und Rückkehr
Nachdem er 1941 Schweden erreicht hatte, trat Blechs Karriere in eine neue Phase ein. Er wurde aktives Mitglied des Freien Deutschen Kulturbundes und dirigierte weiterhin an der Königlichen Oper Stockholm. Während dieser Zeit behielt er sein künstlerisches Niveau bei und passte sich gleichzeitig an das Leben im Exil an. Seine Anwesenheit in Stockholm trug dazu bei, die kulturelle Kontinuität für andere deutsche Musiker und Künstler aufrechtzuerhalten, die vor dem Nazi-Regime geflohen waren.
Im Jahr 1949, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, entschied sich Blech, nach Berlin zurückzukehren. Dies geschah auf Einladung seines langjährigen Förderers Heinz Tietjen, der Direktor der Städtischen Oper geworden war. Blechs Rückkehr nach Berlin erfolgte nur wenige Wochen vor der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, was seiner Heimkehr eine weitere historische Bedeutung verlieh.
Musikalisches Vermächtnis und spätere Karriere
Nach seiner Rückkehr nach Berlin trat Blech die Stelle des Dirigenten an der Städtischen Oper an, wo er sofort damit begann, das Niveau des Orchesters wieder zu erhöhen. Seine erste Aufführung war eine Produktion von Bizets Carmen am 18. Oktober 1949 im Theater des Westens - ein Werk, das er im Laufe seiner Karriere mehr als 700 Mal dirigiert hatte.
Zwischen 1949 und 1953 dirigierte Blech neun Opernpremieren, wobei er sich hauptsächlich auf spätromantische Werke konzentrierte, darunter Verdis "Aida" und "La Forza del Destino" Humperdincks "Hänsel und Gretel" und Strauss' "Ariadne auf Naxos.Er dirigierte auch Aufführungen seiner eigenen komischen Opern, "Versiegelt" und "Das war ich," während einer Feier zu seinem 80. Geburtstag 1951.
Musikalischer Stil und Einfluss
Während seiner gesamten Karriere war Blech für seinen präzisen, effizienten Dirigierstil und sein besonderes Geschick mit den Werken von Wagner, Verdi und Bizet bekannt. Seine Interpretationen zeichneten sich durch eine sorgfältige Berücksichtigung dynamischer Kontraste und innovative Ansätze beim Tempo aus. Zeitgenössische Berichte und Aufnahmen zeigen seine Fähigkeit, technische Präzision mit emotionaler Tiefe zu verbinden, insbesondere im Umgang mit Orchesterfarben und Phrasierung.
Seine Aufnahmen, die er für große Labels wie Deutsche Grammophon, HMV, Ultraphon/Telefunken, Decca und Elite gemacht hat, dokumentieren seinen unverwechselbaren Umgang mit dem Standardrepertoire. Besonders hervorzuheben sind seine Interpretationen von Verdis Ouvertüren und seine Interpretationen von Wagners Orchesterwerken, die seine Fähigkeit demonstrieren, germanische Präzision mit lyrischer Ausdruckskraft zu verbinden.
Als Komponist schuf Blech zwischen 1892 und 1908 sieben Opern, wobei er häufig mit dem Prager Librettisten Richard Batka zusammenarbeitete. Zu seinen Werken gehören "Aglaja" (1893), "Cherubina" (1894), und "Versiegelt" (1908). Sein letztes Bühnenwerk, die Operette "Die Strohwitwe", erschien 1920. Neben der Oper komponierte er auch Orchesterwerke, Chorwerke und Lieder, wobei seine sechs Kinderlieder besonders beliebt waren.
Anerkennungen und Ehrungen
Im Laufe seiner Karriere erhielt Blech zahlreiche Ehrungen, die seine Bedeutung für das europäische Musikleben widerspiegeln:
- Der preußische Rote-Adler-Orden, IV. Klasse (1908) von Kaiser Wilhelm II
- Mitgliedschaft in der Königlich Schwedischen Musikakademie (1930)
- Kommandant des Königlichen Vasa-Museums (1931)
- Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1953)
- Der gleiche Orden mit Stern (1956)
- Ehrenmitgliedschaft der Städtischen Oper Berlin (1957)
Sein Einfluss reichte über Deutschland hinaus, insbesondere in Lettland und Schweden, wo er während seiner Exiljahre das Musikleben maßgeblich mitgestaltete. Im Jahr 2022 wurde seine Ehrenmitgliedschaft am Aachener Stadttheater, die ihm ursprünglich von 1931 bis 1937 verliehen worden war, wiederhergestellt, was die anhaltende Anerkennung seiner musikalischen Verdienste widerspiegelt.
Blech starb 1958 in Berlin, nachdem er einige der turbulentesten Perioden der europäischen Geschichte überlebt hatte, während er sein künstlerisches Niveau beibehielt und einen bedeutenden Beitrag zum Musikleben in mehreren Nationen leistete. Seine Karriere erstreckte sich über das Deutsche Kaiserreich, die Weimarer Republik, die Zeit des Nationalsozialismus und die Teilung Deutschlands nach dem Krieg und macht ihn zu einer einzigartigen Figur in der europäischen Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Quellen
Prieberg, Fred K. 2009. Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945. 2. Aufl. Kiel.
Lambrecht, Jutta. 2021. Leo Blech. Dirigent und Komponist (1871-1958). Portal Rheinische Geschichte. Abgerufen im Januar 2025.
Leo Blechs 150. Geburtstag, Deutsche Oper Berlin, 2021. Zugriff im Januar 2025
Bloomfield, A. Leo Blech in More Than the Notes. Zugriff im Januar 2025.