Berlin Cabaret in Exile

Die 1920er Jahre läuteten das "Goldene Zeitalter" des deutschen Kabaretts ein: Clubs wie Max Reinhardts "Schall und Rauch" und Trude Hesterbergs "Wilde Bühne" in Berlin oder "Die Elf Scharfrichter" in München boten hedonistische, avantgardistische und gewagte Unterhaltung. Das deutsche Kabarett wurde für seine politische Satire gefeiert, was die Kabarettisten nach 1933 in Gefahr brachte, als die Nazis jede Form von politischer Kritik unterdrückten.

Jüdische Komponisten, die die Kabarettszene dominierten, waren besonders gefährdet, und viele zogen es vor, nach Paris zu fliehen, wo das Kabarett weiterhin florierte. Viele der jüdischen Kabarettkomponisten arbeiteten auch für die UFA (Universum Film Aktien Gesellschaft), das größte deutsche Filmstudio. Die UFA, die von dem rechtsgerichteten Alfred Hugenberg geleitet wurde, führte antisemitische Maßnahmen wie die Entlassung jüdischer Mitarbeiter durch, noch bevor die Nazis diese Maßnahmen selbst durchführten. Kurt Weill, Werner Richard Heymann, Friedrich Hollaender, Mischa Spoliansky und Franz Waxman gehörten zu den jüdischen Kabarettkomponisten, die aus Berlin flohen und schließlich außerhalb Deutschlands erfolgreich Karriere machten.

Werner Richard Heymann (1896-1961)

Werner Richard Heymann arbeitete als Kabarett-, Film- und Theaterkomponist in Berlin, bevor er aus Nazi-Deutschland über Paris nach Hollywood floh. Heymann wurde in Königsberg, Ostpreußen (heute Kaliningrad, Russland), als Sohn musikalischer Eltern geboren. Er war ein musikalisches Wunderkind, lernte ab dem dritten Lebensjahr Klavier, ab dem sechsten Geige und begann im Alter von acht Jahren zu komponieren. Während des Ersten Weltkriegs diente er in der preußischen Armee.

Zu seinen frühen Theaterkompositionen gehörte die Musik zu Wandlung (Transformation), einem Stück von Ernst Toller über einen jüdischen Mann, der im Ersten Weltkrieg dient. Heymanns Kabarettkarriere begann in Reinhardts satirischem Kabarettclub Schall und Rauch, wo er zusammen mit Friedrich Hollaender Klavier spielte und Texte des Satirikers Walter Mehring vertonte. Außerdem arbeitete er für Trude Hesterberg an der Wilden Bühne. Er komponierte Musik für Stummfilme und Musicals und wurde 1926 musikalischer Leiter von 120 Kinos. Mit dem Aufkommen des Tonfilms begann Heymann eine Karriere als Filmkomponist und schrieb für Filme wie Der Kongress tanzt (Der Kongress tanzt1931).

Heymann wurde 1933 gezwungen, Deutschland zu verlassen. In Amerika arbeitete er an 40 Hollywood-Filmen, darunter auch für deutsche Emigranten wie Ernst Lubitsch und Preston Sturges. 1951 kehrte er nach Deutschland zurück und setzte seine Karriere als Bühnen- und Filmkomponist fort. Er arbeitete an der Bühnenfassung von Der Blaue Engel mit Trude Hesterberg in der Hauptrolle.

Friedrich Hollaender (1896-1976)

Friedrich Hollaender wurde als Sohn deutscher Eltern in London geboren, wuchs aber in Berlin auf. Er studierte Komposition am Stern-Konservatorium bei Engelbert Humperdinck und diente später in der deutschen Armee als Musikdirektor. Nach dem Krieg arbeitete er als Pianist und Komponist in Clubs wie Schall und Rauch, Wilde Bühne und Grossenwahn und arbeitete mit den Textern Kurt Tucholsky, Walter Mehring, Marcellus Schiffer und Rudolf Nelson an satirischen Revuen und Liedern. Er spielte auch in der Jazzband Weintraub Syncopators.

Seine Karriere als Filmkomponist begann 1930, als er "Falling in Love Again" für Marlene Dietrich in Der Blaue Engel schrieb. Er führte auch Regie bei drei Versionen des Films Ich une die Kaiserin - auf Französisch, Deutsch und Englisch - für die UFA. Hollaender eröffnete 1931 sein eigenes Kabarett-Theater, Tingel Tangel, und führte Anti-Hitler-Revuen auf, wie z.B. Spuk in der Villa Stern (Spuk in der Villa Stern), das das satirische Lied "An allem sind die Juden schuld" zur Melodie der "Habanera" aus Bizets Carmen enthielt.

Hollaender floh 1933 aus Deutschland nach Amerika, wo er weiterhin Lieder für Marlene Dietrich schrieb. 1956 kehrte er nach Deutschland zurück, wo seine Musik wiederbelebt und in Revuen aufgeführt wurde. Er starb 1976 in München. Ein Platz in Berlin, der Friedrich-Hollaender-Platz, ist nach ihm benannt.

Mischa Spoliansky (1898-1985)

Mischa Spoliansky ist berühmt für seine Arbeit an britischen Filmen wie The Happiest Days of Your Life, The Private Life of Don JuanSanders of the River und King Solomon's Mines,  obwohl er in Deutschland vor allem für seine Kabarett- und satirischen Revue-Lieder bekannt ist. Anlässlich seines hundertsten Geburtstages im Jahr 1998 wurden viele seiner Lieder auf CD neu aufgelegt.

Spoliansky wurde in einer Musikerfamilie in Bialystok, Russland (heute Polen), geboren. Nach den antijüdischen Pogromen im Jahr 1905 verließ die Familie Bialystok in Richtung Warschau und ließ sich schließlich in Dresden nieder. Spoliansky lernte Klavier, Geige und Cello und gab im Alter von zehn Jahren sein erstes öffentliches Konzert. Er zog nach Berlin, um am Stern-Konservatorium Klavier und Komposition zu studieren. Während er in einem Café Klavier spielte, wurde er von Friedrich Hollaenders Vater Victor und Werner Richard Heymann belauscht. Er arbeitet als Komponist und Pianist bei Schall und Rauch, schreibt für die erotische Tänzerin Anita Berber und spielt in anderen Kabaretts wie Die Rackete, Wilde Bühne und Kurt Robitscheks Kabarett der Komiker (Kadeko). Dort lernte er Marcellus Schiffer kennen, der sein schriftstellerischer Partner werden sollte. Gemeinsam schrieben sie die Revue Es liegt in der Luft (1928), in der die junge Marlene Dietrich in ihrer ersten großen Rolle zu sehen war. Mit dem Aufkommen des Tonfilms begann Spoliansky als Filmkomponist zu arbeiten, und später schrieb er zusammen mit Schiffer 1932 eine "Kabarettoper" (Die erste Kabarettoper), bevor Schiffer noch im selben Jahr starb.

Spoliansky wurde 1933 gezwungen, Deutschland in Richtung England zu verlassen. Er nahm die britische Staatsbürgerschaft an und schrieb während des Krieges für ein Team ehemaliger Berliner, die aus Deutschland geflohen waren, unter der Leitung des Schauspielers Marius Goring. Sie sendeten Informationen über die Geschehnisse auf dem Kontinent, und Spoliansky schrieb Lieder und Musik für diese Sendungen. Er arbeitete weiterhin als Filmkomponist und schrieb unter anderem für den Film The Man Who Could Work Miracles (1936) von H. G. Wells. Er schrieb auch für Paul Robeson, Elisabeth Welch und Marlene Dietrich.

Er starb 1985 zu Hause in London. Seine kabarettistische Oper Rufen Sie Herrn Plim! (1932) wurde ins Englische übersetzt als Send for Mr. Plim, und beim Covent Garden Festival im Jahr 2000 aufgeführt; seine Werke werden auch heute noch in Deutschland aufgeführt.

Franz Waxmann (1906-1967)

Franz Wachsmann (später Waxman) war ein Komponist, Dirigent und Impresario. Er schrieb im Laufe seines Lebens die Partituren für 150 Filme und wurde zwölf Mal für den Oscar nominiert.

Geboren in Königshütte, Oberschlesien, Deutschland, war Waxman die einzige musikalische Person in seiner Familie und begann im Alter von sieben Jahren mit dem Klavierunterricht. Er arbeitete kurzzeitig als Banker, bevor er nach Dresden und dann nach Berlin zog, um Musik zu studieren. In den 1920er Jahren spielte er in Nachtclubs mit den Weintraub Syncopators Klavier. Er orchestrierte die Musik für einige frühe deutsche Filme, darunter Hollaenders Filmmusik für Der blaue Engel, die er auch dirigierte. Der Produzent Erich Pommer bat Waxman, die Musik für Fritz Langs Liliom (1933) zu komponieren, der in Paris gedreht wurde, nachdem Waxman gezwungen worden war, Deutschland zu verlassen.

Waxman folgte Pommer in die USA, wo er eine erfolgreiche Karriere als Filmkomponist, Arrangeur und Dirigent für Universal, MGM und Warner Brothers machte. Unter anderem arrangierte er die Musik für Jerome Kern und Oscar Hammersteins Music in the Air (1934), Alfred Hitchcocks Rebecca (1940) und Spencer-Tracy-Filme wie Captain Courageous (1937) und Dr. Jekyll und Mr. Hyde (1941). Er gewann 1950 einen Oscar für die beste Musik für Sunset Boulevard .

Waxman gründete 1947 das Los Angeles International Music Festival und lud Komponisten wie Strawinsky, Schostakowitsch und Kabalewski ein, ihre Werke uraufzuführen. Außerdem dirigierte er als Gastdirigent Symphonieorchester in Europa und den USA und komponierte Konzertmusik. Waxman wurde 1999 auf einer US-Briefmarke abgebildet, und in seinem Geburtsort Königshütte wurde eine Straße nach ihm benannt (Franz Waxmanstraße).

Quellen

'Biography: Franz Waxman' Fidelio Music Publishing Company Zugriff am 1.6.2017

Bade, P. (2009) Berlin-Paris 'Cabaret im Exil' [CD Liner notes] Malibran

Cornforth, P. (2012/2017) 'Mischa Spoliansky: A Brief History' The Mischa Spoliansky Trust Accessed 30/5/2017

Finler, J. (2014) 'The remarkable story of the Jewish film-makers in Germany during the early sound years, 1929-33' The Association of Jewish Refugees  Accessed 30/5/2017

Hollander, M. 'Frederick Hollander alias Friedrich Hollaender' Frederick Hollander Music  Accessed 31/5/2017

Hollander, M. (2008) 'Biographie: Frederick Hollander' Cinema Exiles from Hitler to Hollywood, PBS Zugriff am 31/5/2017

Jelavich, P. (1997) Berlin Cabaret (US: Harvard University Press)

Prawert, S. S. (2005) Zwischen zwei Welten: Die jüdische Präsenz im deutschen und österreichischen Film, 1910-1933 (New York: Berghahn Books)

Smith, J. S. (2016) Berlin Coquette: Prostitution and the New German Woman, 1890-1933 (New York: Cornell University Press)

Trautwein, M. (2008) 'Biographie: Werner Richard Heymann' Cinema Exiles from Hitler to Hollywood, PBS Accessed 31/5/2017.

Cabaret Berlin 1919-1933 Die Wilde Bühne, By Fabienne Rousso-Lenoir With Ulrich Tukur, 2009

Ob es regnet, ob es hagelt,
Ob es schneit oder ob es blitzt
Ob es dämmert, ob es donnert,
Ob es friert oder ob du schwitzt,
Ob es schön ist, ob’s bewölkt ist,
Ob es taut oder ob es gießt,
Ob es nieselt, ob es rieselt,
Ob du hustest, ob du niest:

An allem sind die Juden schuld!
Die Juden sind an allem schuld!
Wieso, warum sind sie dran schuld?
Kind, das verstehst du nicht, sie sind dran schuld!
Und sie mich auch! Sie sind dran schuld!
Die Juden sind, sie sind und sind dran schuld!
Und glaubst du’s nicht, sind sie dran schuld,
An allem, allem sind die Juden schuld!
Ach so!

Ob das Telefon besetzt ist,
Ob die Badewanne leckt,
Ob dein Einkommen falsch geschätzt ist,
Ob die Wurst nach Seife schmeckt,
Ob am Sonntag nicht gebacken,
Ob der Prinz of Wales schwul,
Ob bei Nacht die Möbel knacken,
Ob dein Hund ‘n harten Stuhl:

An allem sind die Juden schuld!
Die Juden sind an allem schuld!
Wieso, warum sind sie dran schuld?
Kind, das verstehst du nicht, sie sind dran schuld!
Und sie mich auch! Sie sind dran schuld!
Die Juden sind, sie sind und sind dran schuld!
Und glaubst du’s nicht, sind sie dran schuld,
An allem, allem sind die Juden schuld!
Ach so!

Ob der Dietrich dich versteuert,
Ob die Dietrich Kopf bis Fuß,
Ob Okasa sich verteuert,
Ob ‘ne Jungfrau sagt: „Ich tu’s“,
Ob es kriselt bei der Danat,
Ob ein Witz im Radio alt,
Ob die Garbo ‘n hohlen Zahn hat,
Ob der Kuß im Tonfilm knallt:

An allem sind die Juden schuld!
Die Juden sind an allem schuld!
Wieso, warum sind sie dran schuld?
Kind, das verstehst du nicht, sie sind dran schuld!
Und sie mich auch! Sie sind dran schuld!
Die Juden sind, sie sind und sind dran schuld!
Und glaubst du’s nicht, sind sie dran schuld,
An allem, allem sind die Juden schuld!
Ach so!

Daß der Schnee so furchtbar weiß ist
Und dazu, was sagt man, kalt,
Daß dagegen Feuer heiß ist
Und daß Bäume stehn im Wald,
Daß ‘ne Rose keine Zwiebel
Und daß Schabefleisch geschabt
Daß der Heine gar nicht übel
Und der Einstein ganz begabt:

An allem sind die Juden schuld!
Die Juden sind an allem schuld!
Wieso, warum sind sie dran schuld?
Kind, das verstehst du nicht, sie sind dran schuld!
Und sie mich auch! Sie sind dran schuld!
Die Juden sind, sie sind und sind dran schuld!
Und glaubst du’s nicht, sind sie dran schuld,
An allem, allem sind die Juden schuld!
Ach so!

If it rains, if it hails,
If it snows or if it flashes,
if it dawns, if it thunders,
if it's freezing or if you sweat,
if it is beautiful weather or it's cloudy,
if it thaws or if it pours,
if it's drizzling, if it trickles
if you cough or if you sneeze:
The Jews are to blame for everything!

The Jews are to blame for everything!
Why, why are they to blame?
Child that you don´t understand that, they are to blame for it!
And me too! You are to blame!
The Jews are, they are, they are definitely to blame!
And when you don´t believe it, they are to blame!

In particular, all the Jews are to blame!
Oh!

If the phone is busy,
if the bathtub leaks,
if your income is estimated incorrectly,
if the sausage tastes like soap,
if on Sunday nothing´s baked,
if the Prince of Wales is gay,
if at night the furniture makes noise,
if your hound has hard shit:

The Jews are to blame for everything! ...

If you´re taxed by Mr. Dietrich,
if Dietrich sings from head to toe,
if Okasa becomes more expensive,
if a virgin says: "I'll do it",
if there is a crisis at the Danat,
if there is an old joke on the radio,
if Garbo has a decayed tooth,
if the kiss pops in the sound-film:

The Jews are to blame for everything! ...

That snow is so terribly white,
and even, how to say, cold,
but that fire is hot.
And that trees stand in the forest,
that a rose has no roots,
that a beef patty is scraped,
that Heine is not bad,
and Einstein is very talented:

The Jews are to blame for everything!

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