Europäische Emigranten und das Glyndebourne Festival

Das Glyndebourne Festival gilt als international führend bei Opernproduktionen. Das 1934 in East Sussex, England, gegründete Festival verdankt seinen Erfolg Künstlern, die aus Nazi-Deutschland geflohen sind und anderswo Zuflucht gesucht haben. Dank zufälliger Begegnungen und alter Freundschaften wurde Glyndebourne schnell von der Idee zur Realität, wobei ein Exil-Dirigent im Mittelpunkt stand.

Dieser Dirigent, Fritz Busch, wurde am 13. März 1890 in Siegen, einem Ort im damaligen Westfalen, geboren. Er stammte aus einer musikalischen Familie: Sein Vater war Geigenbauer und Geiger, und er und seine Brüder traten in die Fußstapfen ihres Vaters. Bruder Hermann Busch (1897-1975) war ein versierter Cellist und Bruder Adolf (1891-1952), mit dem Fritz manchmal verwechselt wurde, war Geiger und Dirigent. Zu den weiteren Geschwistern in der Familie gehörten zwei Schauspieler, Willi Busch und Elisabeth Busch-Krampe.

Im Jahr 1906 begann Fritz Busch sein Studium am Kölner Konservatorium bei dem Dirigenten und persönlichen Freund von Johannes Brahms, Fritz Steinbach.  Nach Abschluss des Studiums wurde er als Dirigent an das Deutsche Theater in Riga berufen (1909-1911), wo er umfangreiche Erfahrungen sammelte. Anschließend ging er ein Jahr lang als Pianist auf Tournee, und im darauffolgenden Jahr begann er seine Tätigkeit als Musikdirektor der Stadt Aachen (1912-1914).

Der Erste Weltkrieg unterbrach seine aufstrebende Karriere, doch nach Kriegsende 1918 kehrte er nach Aachen zurück, um die Städtische Oper zu dirigieren.

Kurz darauf wurde er zum Direktor der Stuttgarter Oper ernannt, wo er vier Jahre lang blieb und 1922 die Nachfolge von Fritz Reiner als Dirigent an der Staatsoper Dresden antrat.

Während seiner Amtszeit in Dresden wurde Busch für seine Auswahl des modernen Repertoires bekannt, darunter Werke von Pfitzner und Hindemith sowie bemerkenswerte Uraufführungen von Strauss' Intermezzo (1924), Ferruccio Busconis Doktor Faust (1925), Hindemiths Cardillac (1926) und Kurt Weills Der Protagonist (1926).Sein Portfolio umfasste auch eine Reihe traditionellerer Repertoires, und die steigende Nachfrage nach seinen Diensten bedeutete einen vollen Terminkalender in den folgenden Jahren. So dirigierte er 1932 erfolgreich Mozarts Die Entführung aus dem Serail bei den Salzburger Festspielen.

Vor dem Hintergrund des Erstarkens der Nazi-Partei in den frühen 1930er Jahren führte Buschs Widerstand gegen eine Diktatur in Verbindung mit seiner Förderung fortschrittlicher "modernistischer" Musik im März 1933 zu seiner Entlassung als Direktor der Dresdner Staatsoper.  Die Entlassung wurde durch einen Vorfall ausgelöst, bei dem Mitglieder der Nazi-Partei gegen eine Inszenierung von Verdis Rigoletto protestierten, die Busch dirigierte. Er wurde durch den Dirigenten Kurt Striegler ersetzt. Obwohl dies ein demütigender Rückschlag für Busch war, wurde er bei einem Treffen mit dem "Minister ohne Geschäftsbereich" Herman Göring gedrängt, seinen Posten wieder zu übernehmen.

Busch lehnte dies entschieden ab und verließ Deutschland kurz darauf.

Nach einem gescheiterten Asylantrag in der Schweiz, der eine Empfehlung des deutschen Schriftstellers Thomas Mann beinhaltete, richtete sich Busch einen prekären Wohnsitz in Skandinavien ein.

Trotz vieler Rückschläge blieb Busch ein vielbeschäftigter Dirigent, der mehrere Tourneen nach Südamerika unternahm, darunter ein Engagement am Teatro Colón in Buenos Aires, Argentinien, das zu einer festen Einrichtung wurde (1934-36 und 1940-47). Diese Anstellung verschaffte Busch auch den dringend benötigten politischen Schutz in Form von argentinischen Papieren im Jahr 1936.

Auch mit dem Dänischen Nationalen Symphonieorchester begann Busch 1934 eine lange Beziehung, die bis zum Ende seiner Karriere andauerte (mit Ausnahme der Kriegsjahre 1939-1945, wahrscheinlich aufgrund der Nähe zu Nazi-Deutschland).

Während Fritz Busch hauptsächlich in Südamerika dirigierte, war sein Bruder Adolf Busch Ende 1933 mit seinem Streichquartett in England auf Tournee, wo er von den Plänen für ein neues Opernfestival in Glyndebourne in East Sussex erfuhr. Das Festival brauchte einen Dirigenten, und diese Information wurde an Fritz weitergeleitet, der kurz darauf dem Festivalgründer John Christie gegenüber erwähnt wurde und die Stelle erhielt.

Dies war eine glückliche Fügung, denn Buschs Verbindungen in die Opernwelt sollten dem Festival die Besetzung der Positionen des künstlerischen Leiters und des Generaldirektors ermöglichen.

Für die Position des künstlerischen Leiters schlug Busch seinen in Deutschland geborenen Kollegen Carl Ebert (1887-1980) vor, der nach seiner Schauspielausbildung bei Max Reinhardt als Intendant am Landestheater Darmstadt (1927-1931) und an der Städtischen Oper Berlin tätig war. Während seiner Tätigkeit als Intendant am Darmstädter Theater stellte Ebert auch den jungen Komponisten und Dirigenten Berthold Goldschmidt (1903-1996) als seinen musikalischen Mitarbeiter ein.

Nach einer Erinnerung seines Sohnes Peter Ebert hatten die beiden einen besonderen kreativen Arbeitsprozess. In Daniel Snowmans Buch Die Hitler-Emigranten:

Während Goldschmidt am Klavier saß und die Oper durchspielte ... streckte sich mein Vater auf einer ... Couch aus, hörte zunächst nur zu, machte sich dann Notizen ... verfolgte die Musik in der Partitur und ... las den Text und befragte und diskutierte schließlich mit Goldschmidt über die Interpretation jedes Abschnitts.

Von 1944 bis 1947 war Goldschmidt Leiter des deutschen Dienstes der BBC. Später arbeitete er mit ehemaligen Kollegen, darunter Ebert, als Ersatzdirigent für die Glyndebourne-Produktion von Verdis Macbeth im Jahr 1947 zusammen und war auch als Chorleiter für mehrere Produktionen tätig.

Eberts Arbeit in seinen Positionen bereitete ihn auf eine internationale Karriere vor, und wie Busch zwang ihn seine Abneigung gegen den Nationalsozialismus und seine Förderung "moderner" Werke, wie die Uraufführung von Weills Die Bürgschaft im Jahr 1932, ins Exil. Laut einem BBC-Artikel über die Geschichte von Glyndebourne wurde Ebert vom "Minister ohne Geschäftsbereich" Hermann Göring die künstlerische Leitung der Opernhäuser in Berlin angeboten, ein Angebot, das er rundweg ablehnte. Kurz darauf floh er in die Schweiz und dann nach Argentinien.

Ebert und Busch befanden sich bald in Buenos Aires, wo sie zusammenarbeiteten und von 1933 bis 1936 die Wagner-Opern des Teatro Colon leiteten. Gemeinsam mit Busch gestaltete Ebert dann 1934 die Eröffnungssaison des Glyndebourne Festivals mit erfolgreichen Produktionen von Mozarts Le Nozzi di Figaro und Cosi fan Tutte. Von 1934 bis 1939 und von 1947 bis 1959 war Ebert künstlerischer Leiter des Glyndebourne Festivals.

Für den Posten des Intendanten schlug Busch Sir Rudolf Bing (1902-1997) vor, der aus einer wohlhabenden jüdischen Familie in Wien stammte. Er sammelte zunächst Erfahrungen in Theateragenturen in Wien und Berlin, bevor er Assistent von Carl Ebert am Hessischen Staatstheater in Darmstadt wurde (1928-1930). Später war er bis 1933 Assistent des Intendanten an der Charlottenburger Oper Berlin (heute Deutsche Oper in der Bismarkstraße). Im folgenden Jahr zog er nach England und wurde 1935 zum Generaldirektor von Glyndebourne ernannt. Diese Position behielt er bis 1949. In der zweiten Hälfte seiner Amtszeit war Bing auch an der Gründung des Edinburgh Festivals von 1947-49 beteiligt. Später wurde er Generaldirektor der Metropolitan Opera in New York City (1950-1972) und leitete das wohl "Goldene Zeitalter" des Hauses.

Fritz Busch und Rudolf Bing im Glyndebourne House.

Fritz Busch, Carl Ebert und Rudolf Bing legten den Grundstein für das Glyndebourne Festival und brachten das Unternehmen mit anspruchsvollen Produktionen des Mozart-Repertoires auf die Weltbühne. Die ersten vier Spielzeiten umfassten Produktionen von Le Nozze di Figaro(1934-37), Die Zauberflöte (1935-37), Cosi fan Tutte (1934-37), Die Entführung (1935-37) und Don Giovanni (1936-37) zu großem Beifall.

Busch dirigierte weiterhin bis 1939 für Glyndebourne, doch ein Besetzungsstreit führte zu einer elfjährigen Pause vom Festival. Er nahm die Arbeit mit dem Ensemble 1950 bis zu seinem Tod im folgenden Jahr wieder auf. Seine musikalische Laufbahn, die von der Förderung der "modernen Musik" von Pfitzner, Hindemith, Weill und Berg über seine Arbeit bei der Gründung des Dänischen Radio-Sinfonieorchesters bis hin zu seiner wichtigen Rolle bei der Gründung des Glyndebourne Festivals reicht, zeigt, welch wichtigen Beitrag Flüchtlinge, die vor der Tyrannei flohen, zur westlichen klassischen Tradition geleistet haben.

Ryan Hugh Ross, 2019

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