Bernhard Sekles
Verfolgung im Nationalsozialismus
Bernhard Sekles, eine der führenden Persönlichkeiten der deutschen Musik des frühen 20. Jahrhunderts, wurde nach Hitlers Machtübernahme 1933 zur Zielscheibe nationalsozialistischer Verfolgung. Als jüdischer Komponist und Leiter des Hoch'schen Konservatoriums in Frankfurt sah sich Sekles schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten wachsender Opposition aus nationalistischen Kreisen ausgesetzt.
Seine Gründung des weltweit ersten akademischen Jazz-Programms im Jahr 1928 hatte bereits den Vorwurf der "frivolen Verhöhnung der deutschen Musik" von konservativen Kritikern hervorgerufen. Dieses innovative Programm, das von dem in Ungarn geborenen Komponisten Mátyás Seiber geleitet wurde, wurde als "Palastrevolution" in der Musikausbildung beschrieben und erkannte die praktische Realität an, dass mehr als die Hälfte der professionellen Musiker in Jazz-Ensembles ohne formale Ausbildung auftraten.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten bot Sekles' Kritikern die Gelegenheit, ihn aus seinem Amt zu entfernen. Am 10. April 1933 empfahl der "Ausschuss für die Reorganisation des Dr. Hoch'schen Konservatoriums" die Entlassung von 14 jüdischen oder ausländischen Lehrern, darunter Sekles und Seiber, zum 31. August 1933. Den Entlassenen wurde mit sofortiger Wirkung der Zutritt zum Konservatorium verwehrt.
Nach seiner Entlassung wurden Sekles' Kompositionen systematisch aus den deutschen Konzertsälen ausgeschlossen. Obwohl er im Musikausschuss des im Frühjahr 1934 gegründeten Jüdischen Kulturbundes Rhein-Main/Frankfurt am Main aktiv blieb, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rapide. Sekles starb am 8. Dezember 1934 in einem jüdischen Altersheim in Frankfurt am Main.
Würdigungen in der europäischen und amerikanischen Presse (u.a. "La Revue Musical Belge" die Londoner "Monthly Musical Record" und die Schweizer "Dissonanzen") zeugten von Sekles' internationaler Anerkennung als Komponist und Pädagoge, auch wenn seine Werke in Deutschland unterdrückt wurden.
Nach 1933 beschränkten sich die Aufführungen von Sekles' Kompositionen auf Veranstaltungen des Jüdischen Kulturbundes. Seine letzte Komposition, Psalm 137 für Chor, Sopransolo und Orgel, "An den Wassern von Babylon" (Op. 45), wurde am 15. Oktober 1935 in der Frankfurter Westend-Synagoge uraufgeführt - ein ergreifendes musikalisches Statement eines Komponisten, dessen Werke vom Regime zum Schweigen gebracht worden waren.
Die Zerrüttung durch den Nationalsozialismus verhinderte, dass Sekles' Musik nach 1945 Eingang in das allgemeine Konzertrepertoire fand. Heute werden seine Kompositionen vor allem bei Gedenkveranstaltungen oder Konzerten, die sich speziell der Musik jüdischer Komponisten widmen, aufgeführt.
Leben und Werdegang
Bernhard Sekles wurde am 20. Juni 1872 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Besuch des Philanthropins, der Schule der Israelitischen Gemeinde Frankfurt, studierte er von 1888 bis 1893 am Hoch'schen Konservatorium. Zu seinen Lehrern gehörten Lazzaro Uzielli (Klavier), Iwan Knorr (Komposition) und Engelbert Humperdinck (Instrumentation).
Zu Beginn seiner Karriere war er als Chordirigent und zweiter Kapellmeister an den Stadttheatern in Heidelberg (1893-1894) und Mainz (1894-1895) tätig. 1895 kehrte er nach Frankfurt zurück, um am Hoch'schen Konservatorium Musiktheorie zu unterrichten. 1906 richtete er eine eigene Kompositionsklasse ein, aus der namhafte Schüler hervorgingen, darunter Paul Hindemith, Max Kowalski, Rudi Stephan, Cyrill Scott, Theodor W. Adorno und Erich Itor Kahn.
Sekles war bekannt für seinen Lehransatz, der es den Schülern ermöglichte, ihren authentischen kompositorischen Stil zu entdecken und zu entwickeln, anstatt ihnen eine bestimmte ästhetische Richtung aufzuzwingen. Diese pädagogische Philosophie wurde häufig als eines seiner charakteristischen Merkmale als Kompositionslehrer hervorgehoben.
Im Jahr 1924 wurde Sekles zum Direktor des Hoch'schen Konservatoriums ernannt, eine Position, die er bis zu seiner erzwungenen Entlassung im Jahr 1933 innehatte. Obwohl er mit erheblichen finanziellen Problemen konfrontiert war, leitete er wichtige Reformen ein, die das Bildungsangebot der Institution auf das Niveau staatlicher Musikhochschulen anhoben. Während seiner Amtszeit baute Sekles das ruhende Konservatoriumsorchester wieder auf und organisierte prestigeträchtige Gastdirigate von Wilhelm Furtwängler und Erich Kleiber. Er organisierte die Orchesterausbildung völlig neu, gründete eine Opernschule in Zusammenarbeit mit den städtischen Theatern und richtete eine Abteilung für Kirchenmusik ein. Außerdem führte Sekles ein privates Musiklehrerseminar ein, dessen Absolventen in externen Staatsprüfungen so gut abschnitten, dass das Konservatorium die staatliche Anerkennung für diese Ausbildung erhielt. Er sorgte auch dafür, dass angehende Schulmusiker vier Semester in Frankfurt studieren konnten, bevor sie an staatlich anerkannte Einrichtungen wechselten.
Über seine Leistungen und seine plötzliche Entlassung im Jahr 1933 schrieb Sekles mit bemerkenswerter Zurückhaltung in einem Brief an David Ewen:
"Vor einem Jahr musste ich wegen der politischen Umwälzungen in Deutschland meine Stellung als Direktor des Dr. Hoch'schen Konservatoriums aufgeben."
Diese zurückhaltende Beschreibung seiner erzwungenen Entfernung durch das Nazi-Regime offenbart sowohl seine Würde als auch die schockierende Realität, wie schnell etablierte Karrieren im Nationalsozialismus zerstört werden konnten.

Eine von vier Seiten eines Briefwechsels von Bernhard Sekles an David Ewen, 1934.
Musikalische Werke und Stil
Bernhard Sekles komponierte Werke aus allen wichtigen Gattungen. Ausgehend von einer spätromantisch-klassischen Ästhetik entwickelte er einen originellen, gemäßigt progressiven Stil, der von östlichen und außereuropäischen Musiktraditionen beeinflusst ist. Kritiker und Publikum bezeichneten seine Musik oft als "exotisch."
Zu seinem kompoistorischen Schaffen gehören:
- Vier Opern, darunter „Schaharazade“ (1917), die unter Wilhelm Furtwängler uraufgeführt und anschließend an zahlreichen deutschen Opernhäusern gespielt wurde
- Orchesterwerke, darunter eine Sinfonie, „Die Temperamente“, „Kleine Suite“ und „Passacaglia und Fuge für großes Orchester und Orgel“ (Op. 27)
- Kammermusik, darunter zwei Streichquartette, eine Sonate für Cello und Klavier und das „Capriccio in vier Sätzen“.
- eine umfangreiche Sammlung von Liedern, vor allem sein Zyklus „Aus dem Schi-King“ auf der Grundlage alter chinesischer Poesie
- Ballett- und Tanzkompositionen, darunter „The Dwarf and the Infant“ nach dem Märchen von Oscar Wilde
Zeitgenössische Kritiken verglichen seine Oper "Schaharazade" mit Werken wie Debussys "Pelléas et Mélisande" und Bartóks "Blaubarts Burg.Sekles' Herangehensweise an die Opernkomposition war unverwechselbar: Er ordnete die Musik dem Text unter, vermied die konventionelle Struktur der Nummernoper und schränkte die Verwendung wagnerianischer Leitmotive ein und setzte orientalische musikalische Elemente (übermäßige Intervalle, parallele Intervallfolgen) sparsam, aber wirkungsvoll ein.
Seine "Serenade für 11 Soloinstrumente" (Op. 14) fand trotz anfänglicher Widerstände von Dirigenten besonderen Anklang. In einem Brief an David Ewen bemerkte Sekles, dass nach der erfolgreichen Aufführung beim Tonkünstlerfest in Dresden 1906 dieselben Dirigenten, die das Werk zuvor als "unwürdig zur Aufführung" abgelehnt hatten, es annahmen.
"Ein Jahr zuvor," schrieb er, "hatten etwa 100 Dirigenten, an die der Verlag die Serenade geschickt hatte, sie als unwürdig zur Aufführung zurückgeschickt. Nach dem Erfolg in Dresden änderten diese Herren ihre Meinung und führten sie fast alle mit Erfolg auf."
Pionier der Jazzerziehung
Sekles' nachhaltigster Beitrag zur Musikpädagogik war die Einrichtung des weltweit ersten akademischen Jazzprogramms am Hoch'schen Konservatorium im Jahr 1928. Diese innovative Abteilung unter der Leitung von Mátyás Seiber war eine pragmatische Antwort auf die zeitgenössischen musikalischen Entwicklungen und beruflichen Anforderungen.
Sekles erkannte, dass ein erheblicher Teil der Berufsmusiker ohne formale Ausbildung in Jazz-Ensembles spielte. Seine systematische Herangehensweise an die Jazzerziehung spiegelte die typisch germanische Auffassung wider, dass auch improvisierte Musik durch strukturierte Pädagogik analysiert, theoretisiert und gelehrt werden kann.
Diese Initiative rief erhebliche Kritik aus nationalistischen und konservativen Kreisen hervor, die im Jazz eine Bedrohung der deutschen Musiktradition sahen. Das NS-Regime lehnte den Jazz insbesondere als Musik der Afroamerikaner ab, die ihrer Rassenideologie widersprach. Folglich wurde die Jazzabteilung nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 geschlossen.
Trotz seiner kurzen Existenz stellte Sekles' Jazzprogramm eine visionäre pädagogische Innovation dar, die die spätere Integration von Jazzstudien in die Lehrpläne von Musikhochschulen weltweit vorwegnahm.
Quellen
Kathrin Massar: Bernhard Sekles, in: Lexikon der verfolgten Musiker der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hrsg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2009
Haas, M. Bernhard Sekles, Verbotene Musik, Januar 2014 - Zugriff März 2025
Korrespondenz von Bernhard Sekles an David Ewen, 1934. Carnegie Hall Rose Archive